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Die Organisation der pfarramtlichen Funktionen in Vergangenheit und Gegenwart

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Theorie und Praxis kirchlicher Organisation

Zusammenfassung

Wir haben im vorigen Kapitel den Aufbau des Pfarrgemeindesystems als des Grundpfeilers der kirchlichen Organisation kennengelernt. Wir sahen, daß das Pfarrgemeindesystem, das als Instrument kirchlicher Versorgung in früheren Zeiten den gesellschaftlichen Verhältnissen entsprach, unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen im großen und ganzen aufrechterhalten wird, obwohl es einer ausreichenden und gleichmäßigen kirchlichen Versorgung im Wege steht. Es ist eine Frage, ob das pastorale Grundmodell in den vergangenen Jahrhunderten das optimale Organisationsprinzip zur Verwirklichung der ursprünglichen Zielvorstellungen der Kirche: Verkündigung und Gemeindebildung gewesen ist; heute ist die Zielverwirklichung auf dem Wege des parochialen Organisationsprinzips angesichts der Disproportionalität des Verhältnisses von Geistlichen und Gemeindegliedern (Seelsorgerdichte) und der Verteilung der Geistlichen in dem Stadt-Land-Kontinuum (Ortsgemeindegrößenklassen) grundsätzlich in Frage gestellt. Nach dem Pfarrgemeindesystem als dem territorialen Element kirchlicher Organisation, dem pastoralen Grundmodell entsprechend, untersuchen wir die Organisation des Pfarramtes, und zwar im folgenden zunächst die mit dem Pfarramt verbundenen Funktionen.

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Literatur

  1. Wir gebrauchen den Begriff der Amtshandlungen und der Kasualien im Sinne Mezgers: der Begriff der Kasualien, der “besagt, daß ‘Fälle’, ’ Anlässe’ gemeint seien, die aus dem regelmäßigen gottesdienstlichen Leben der Gemeinde herausfallen”, wird dem der Amtshandlungen untergeordnet.

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  2. Die Entstehung der “stillen Leichen” in den Städten wurde einmal dadurch verursacht, “daß die Kirchhöfe vor die Stadt hinaus verlegt wurden” und sich deshalb“der liturgische Akt am Grabe” “zeitlich wie räumlich” nicht mehr mit der “darauf folgende(n) Predigt in der Kirche” vereinigen ließ, zum andern durch den im 18. Jh. eine Zeitlang währenden Brauch der “Nachtleichen”.

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  3. Namentlich in Landstädten war es nichts Ungewöhnliches, daß Arme ganz still beerdigt wurden, d. h. ohne Gesang und Leichenpredigt. Wenn es sein konnte, wählte man eine Zeit, da ohnedies zu einem Gottesdienst geläutet wurde, etwa vor der Betstunde. Bestand doch selbst die inhumane und unchristliche Verwaltungsbestimmung, daß Arme im Winterhalbjahr, wenn die Kosten ihrer Beerdigung nicht könnten aufgebracht werden, auf die Anatomie abgeliefert werden sollten. “

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  4. Schon Ende des 17. Jhs. begann der Katechismusgottesdienst “die Form der Predigt zu sprengen und sich zur Katechese zu entwickeln”; “anStelle der seitherigen rein akroamatischen Erklärung des Geistlichen” trat jetzt eine “vorgeschriebene, in Frag und Antwort verlaufende Erklärung”. Die freie Erläuterung des Geistlichen zu diesen vorgeschriebenen Passagen aus dem katechetischen Lehrbuch aber “artet bisweilen wieder in Predigt aus”. Erst der Pietismus und besonders die Aufklärung haben durch psychologische und pädagogische Erkenntnisse und methodische Überlegungen dahingehend gewirkt, daß“ der katechetische Unterricht wirklich zur Katechese” wurde.

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  5. Obwohl die Betstunde schon zu Beginn des 19. Jhs. “eine Ruine” war und “außer den Schülern” niemand kam, wurde auf dem Lande an ihr festgehalten. “So schleppte sich denn die Einrichtung durch das ganze 19. Jahrhundert hin, ohne leben oder sterben zu können.” “19o3 bestanden Betstunden ganzjährig noch in 214 Gemeinden, nur sommers in 585, zusammen in 799 Gemeinden”.

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  6. In den früheren Jahrhunderten war es kaum möglich gewesen, sich der Abendmahlsfeier zu entziehen. Entziehung bedeutete so viel wie Religionsverachtung undSeparatismus. “Nachlässige Personen” hatte der Geistliche “zu beschicken, und auf eine bescheidene, liebreiche Art privatim zum Genuß desselben zu ermahnen”. Fruchtete das nichts, so wurden sie vor den Dekan gebracht, der sie mit Hilfe von “Erinnerung” und “Unterricht” “zum Genuß desselben bewegen” sollte. Nutzte auch dieses nichts, so mußte die Sache unverzüglich “dem Consistorium angezeigt” werden. Betrug der Abendmahlsbesuch infolge des Abendmahlszwangsiml7. u. 18. Jh. in vielenGemeinden mehr als l00% - es herrschte “die feste Sitte”, “daß die ErwachsenenChrw(133) mehrmals im Jahr zum Abendmahl gingen” -, so nahmen die Abendmahlsziffern seit der Mitte des 19. Jhs. auffallend ab (188o: 55, 3%; 1906/08: 44%).

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  7. Den Gang zur Privatkommunion vollzog der evangelische Geistliche ähnlich wie der katholische Priester in vollem Ornat (nur ohne Chorhemd), begleitet vom Lehrer als Mesner, der Agende, Hostienkapsel, Patene und Kelch trug.“ Es erklärt sich vielleicht von daher, daß man den Geistlichen im Krankheitsfall nicht gerne rief, weil er als ”Bote des Todes“ angesehen wurde. Andererseits galt das Abendmahl als eine Art Wundermittel: ”Daß an die Privatkommunion magische Vorstellungen von physischer Wirkung einer Krisis zur Genesung oder zum rascheren Tod des Kranken beim Volk sich hefteten, vermochte die Kirche nicht auszutilgen.“

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  8. Die Jungen werden aus dem Katechismus und der Heilsordnung examiniert, die Alten bei der Anmeldung gefragt, ob von ihnen und in ihrem Hause auch fleißig gebetet werde, ob sie die Bibel lesen, friedliche Ehe, keine Feindseligkeit unter sich und mit Freunden und Nachbarn haben, ob ihnen auch ernstlich um Gott und um ihrer Seelen Seligkeit zu tun sei. Daran schließt dann der Geistliche immerhin auch noch besondere Warnungen vor Fluchen, Schwören, in der Aufklärungszeit vor dem Aberglauben. “

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  9. Neben der kirchenkonventlichen Tätigkeit hatte, der Pfarrer seit der Mitte des 19. Jhs. den Vorsitz des Pfarrgemeinderats zu führen; ab 1887 wurden dann die staatlichen Funktionen der Verwaltung des Kirchenvermögens und der Erhebung der Kirchensteuer wieder zusammen mit den spezifisch kirchlichen Angelegenheiten von dem 1878 gegründeten Kirchengemeinderat wahrgenommen.

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  10. Die vom Kirchenkonvent zu erteilenden Strafen waren je nach Ortsklasse auf 2 Reichstaler oder 24 Stunden Gefängnis bis 4 Reichstaler oder 48 Stunden Gefängnis beschränkt. “Am Anfang und Ende der Sitzung” wurde “vom Geistlichen gebetet”.

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  11. gab es in Württemberg bereits 400 Orte mit deutschen Schulen, und 1653 wurde trotz des gerade überstandenen 3ojährigen Krieges an 478 Orten Schule gehalten. Allgemeine Schulpflicht bestand seit 1649. Die Besoldung der Lehrer war sehr gering. Schulmittel waren kaum vorhanden. “Nicht einmal jede Schule besaß eine Bibel.”

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  12. Der Schulunterricht bestand im 16. und 17. Jh. fastausschließlich aus religiöser Unterweisung. Memorieren, Lesen, Schreiben und Singen - die vorgeschriebenen vier Fächer -wurden anhand der Bibel, des Katechismus und des Gesangbuchs gelehrt. 1729 wurde der Rechenunterricht zwar offiziell eingeführt, seine Durchführung bereitete aber noch lange Zeit große Schwierigkeiten. Noch 187o bestimmte ein Schulplanentwurf, “daß bei 26 Wochenstuden 1/3 für denReligionsunterricht und Memorieren zur Verwendung kommen solle”. Als Zweck der Volksschule nennt noch das Volksschulgesetz von 19o9 zuerst die “religiös-sittliche Bildung”; Religions-und Sittenlehre war demgemäß erstes Pflichtfach; die Anzahl der Religionsstunden war allerdings im neuen Lehrplan von 19o7 auf 4–5 pro Woche reduziert worden.

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  13. Die “Gegenstände” bzw. die Fragen, die bei der Visitation untersucht wurden, u. a.: “Wie des Pfarrers Privatstudien beschaffen seyen? Wo er im Lesen der heiligen Schrift alten und neuen Testaments begriffen sey? (wobei mit ein paar Worten nach der Materie zu fragen ist.) Ob er auch in den symbolischen Büchern lese, und was wirklich sein Pensum darin sey? (hier wird mit wenigem auf den Inhalt geforschet.) Was er sonst in Dogmaticis practicis, exegeticis, Historicis Eccles. et Jurisprudent. Eccles. für Bücher habe, und dermalen lese? (Hier wird vom Dekan die Inspektion von der Bibliothek eingenommen, auf die Studien mit einigen Fragen geforscht und nach Befinden Anweisung gegeben, was der Pfarrer lesen soll.) Ob er seine Predigten fleisig meditiere und schreibe? (wobei die Konzepte einzusehen sind.)”

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  14. Die Kosten für die Anstellung eines Vikars mußte der Pfarrer tragen, was bei den geringen Einkünften eine große Belastung bedeutete.

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  15. Die staatlichen Maßnahmen in kirchlichen Dingen waren oft sehr viel fortschrittlicher als die der kirchlichen Behörden. So setzte z. B. Herzog (später König) Friedrich allen Überlegungen und “Bedenklichkeiten” des Synodus in der Frage der Einschränkung der Feiertage-ein Ende, indem er 1799 die Umwandlung in Halbfeiertage anordnete. Die Feiertagsfrage wurde auch später wieder durch staatlichen Eingriff geregelt, als mit dem Volksschulgesetz von 19o9 die Schulfreiheit an Feiertagen stark eingeschränkt wurde. Kolb kommentiert diese Vorgänge: “wenn die Kirche säumt, lange schon schwebende Fragen deren Lösung zuzuführen, dann nehmen nicht selten andere Mächte die Sache in ihre Hand.”

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  16. Wir wiesen schon auf das mit dem Katechismusgottesdienstverbundene jährliche Pfingstexamen hin, “das unter dem Namen’ ins Känzele beten’ bis heute (1854, Vf.) an den meisten Orten besteht, da je zwei ältere Schulkinder nach beendigter Kinderlehre am Sonntag an den Altar treten und sich den Katechismus abfragen, zu deren Ermunterung auch kleine Stiftungen vorhanden sind, oder der Heilige eine kleine Gabe reicht”. Schon die Kirchenordnung von 1536 gibt an, daß die Kinder zur Exploration mit “einem Heller oder Pfennig aus demGotteskasten herzu gereizt werden” sollen. Das Katechismussprechen und das Abfragen der Katechismuspredigt war nicht auf dieses Pfingstexamen beschränkt, bei dem außer den Schulkindern auch “das junge Volk” bis zum 24. Lebensjahr einschl. “auf Grund eines angelegten Verzeichnisses in die Kirche erfordert” und dort“privatim examiniert” wurde; jeden Sonntag hatten die Schulkinder zum Abfragen “vorzustehen”, “bisweilen auf besonders hierzu bestimmten Stühlen”. An dem Pfingstexamen nahmen häufig auch kleine Kinder, “3–4 jährige, die kaum sprechen konnten”, teil. - Der Lehrer arbeitete in der EinübungdesKatechismus und des Spruchbuches mit dem Pfarrer zusammen. Wir sahen, daß bis ins 2o. Jh. ein großer Teil des Schulunterrichts aus Religionsstunden bestand. Lehrmittel waren neben der Bibel der Katechismus, das Kinderlehrebuch und das Spruchbuch. Durch das Nebeneinander der verschiedenen Katechisationen, des Konfirmandenunterrichtes und des Religionsunterrichtes kam es oft zu einer “doppelte(n) Behandlung” desselben Stoffes. Die Menge des Memorierstoffes war beachtlich. Das Spruchbüchlein von 1787 enthielt 400 Sprüche und 7 Bußpsalmen, das von 1839 insgesamt 686 Sprüche und loo Lieder. 1913 wurde der Memorierstoff drastisch reduziert: immerhin enthielt es noch 250 Sprüche, von denen 175 verbindlich waren und 3o Lieder mit 18o Versen. Man befürchtete jedoch, “daß angesichts solcher Minderungen das württembergische Volk in großer Gefahr stehe, seinen früheren Ruhm großer Bibelfestigkeit ganz zu verlieren”. Doch tröstet sich Wurster mit der F eststellung, daß auch der “verkürzte Bestand an Memorierstoff alle Seiten christlichen Glaubens und Lebens mit bezeichnenden, klassischen Sprüchen belegt”. Das Spruchbüchlein von heute enthält 257 Sprüche und 42 Lieder.- Wir sahen, daß in dem Beichtverhör weniger das Gewissen als das Wissen erforscht wurde. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß für die Annahme zur Konfirmation “hinreichende Schulkenntnisse’ verlangt wurden und daß Schwachbegabte u. U. abzuweisen waren. ”Die Überlegungsfähigkeit kann gering sein, aber sie darf nicht gänzlich fehlen.“

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  17. Nach Nicolai war der “eigentliche Fragenplan, d.h. die Vorschrift für den Special, was er mündlich zu fragen hat, acht und dreyßig nicht weitläufig geschriebene Bogen stark.” “Schade um das schöne große Adlerpapier, und Schade über das unnütze Geschreibe allzumannichfaltiger unbestimmter Fragen, worauf meist nur unbestimmt kann geantwortet werden, und worauf meist nur mechanisch, ja sogar, wie man sieht, zum Teile beynahe lächerlich geantwortet wird.”

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  18. Auch die andere neben der These von dem Öffentlichkeitsverlust der Kirche verbreitete Auffassung, daß Kirche und Pfarrer bis zum Aufkommen der Inneren Mission der Diakonie nur ungenügend nachgekommen seien, ist zu widerlegen. Es würde zu einer höchst ungerechten Beurteilung führen, wollte man der Kirche und den Pfarrern des 16., 17., 18. und 19. Jhs. die Liebestätigkeit absprechen. Dagegen spricht schon der aufopfernde Einsatz der Geistlichen für das Wohl ihrer Gemeinden während des 3ojährigen Krieges. Die Anstrengungen der Kirche und ihrer Pfarrer auf dem gesellschaftlichen Sektor waren zu allen Zeiten umfangreich. Die sozialen Aufgaben des Pfarrers verbanden sich ganz selbstverständlich mit dem Pfarramt. Das gesamte Armenwesen und die Liebes:ätigkeit gehörten zum Aufgabenbereich des Pfarrers. Noch am Anfang des 19. Jhs. wurden die Geistlichen zur “Gründung von Industrieanstalten zur Hebung der Armut und Bekämpfung des Bettels” angewiesen. Das Ausmaß der Armut und des hieraus resultierenden Bettels war groß; die Kinder ganzer Gemeinden wurden zum Betteln geschickt. “Das Bettelwesen ist eine der Landplagen des 18. Jahrhunderts. Besonders die Pfarrhäuser wurden davon betroffen. Durchschnittlich gab ein Pfarrer etwa 5 - lo% seiner Besoldung als Almosen.” Zahlreiche Geistliche,.auch viele Pfarrfrauen, haben zur Behebung der Armut beigetragen. Durch die Innere Mission erhielt die Diakonie wesentliche Impulse. Neu ist mit ihrem Programm die Organisation der kirchlichen Liebestätigkeit.

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  19. Nur 8,6% der von uns befragten Pfarrer arbeiten produktiv theologisch-wissenschaftlich, 15, 7% theologisch-rezeptiv; 65,7% kommen gar nicht dazu.

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Bormann, G., Bormann-Heischkeil, S. (1971). Die Organisation der pfarramtlichen Funktionen in Vergangenheit und Gegenwart. In: Theorie und Praxis kirchlicher Organisation. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-05381-1_4

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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