Zusammenfassung
Der oppositionelle Diskurs bewegt sich sowohl im akademischen Feld, in institutionellen Zusammenhängen als auch im außerwissenschaftlichen Bereich, in sozialen Bewegungen wie entwicklungspolitischen Solidaritätsgruppen und der internationalen Frauenbewegung. Als ein gemeinsamer Nenner äußerst heterogener Orientierungen wird in der kritischen Perspektive das globale Bevölkerungswachstum nicht als Ursache fir Armut, Unterentwicklung und ökologische Krisen interpretiert, sondern vielmehr als das Symptom weltweit fehlgeleiteter Entwicklungs- und Modernisierungsbestrebungen. Hervorgehoben werden insbesondere die ökonomischen und politischen Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Nord und Süd, zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Damit einher gehen andere Problembeschreibungen, Interpretationen und Lösungsvorschläge. Diese kritischen Perspektiven lassen sich jedoch kaum in einer Standarderzählung vereinheitlichen. Denn je nach theoretischem Hintergrund, politischer Verortung und institutionellem Kontext finden unterschiedliche Schwerpunktsetzungen statt, fächern sich Argumente, Tendenzen und Gegentendenzen auf. Ähnlich wie im hegemonialen Diskurs Fragmente und Teilbeschreibungen der Kritik aufgenommen werden, können sich durchaus auch im Gegendiskurs einzelne Elemente des Mainstreams wiederfinden. Denn der Bevölkerungsdiskurs ist nicht statisch, sondern gewährt thematische Einschlüsse und Ausschlüsse und läßt diverse Grade und Arten der Focussierung zu.
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Literatur
Eine eigenständige materialistische Bevölkerungstheorie wurde von Marx und Engels nicht entwickelt. Das Thema „Bevölkerung” wurde weniger systematisch als beiläufig behandelt; diesbezügliche Überlegungen sind im wesentlichen auf eine Auseinandersetzung mit Malthus beschränkt. Von einer geschlossenen marxistischen „Bevölkerungstheorie” kann nicht gesprochen werden (vgl. Glass 1978:136; Schmid 1976: 42 ).
Die in den reichen Industrieländern lebenden 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen ungefähr 85 Prozent der gesamten Holzproduktion, 70 Prozent aller Energie; sie verursachen 75 Prozent aller CO2-Emissionen und setzen 90 Prozent aller FCKW frei. Jeder Bewohner/jede Bewohnerin eines Industrielandes verursacht damit viermal soviel Zuwachs an Kohlenstoff in der Atmosphäre wie der/die Bewohnerin eines Entwicklungslandes. Ein erwachsener Bundesbürger verbraucht durchschnittlich 45mal so viel Energie wie ein Kenianer und 23mal soviel wie eine Inder. Ein US-Amerikaner verbraucht sogar 72mal soviel Energie wie ein Kenianer. Bevor sich ein männlicher, weißer Großstadtsingle in
Die Grundformel der agraren Tragfähigkeit, die als Instrument der Agraranalyse und Entwicklungsplanung bis in die 80er Jahre galt, wurde von William Allen entwickelt, der seine Anregungen in den 40er Jahren in Nordrhodesien aus seiner Tätigkeit in der Kolonialverwaltung, Eingeborenenpolitik und Reservatsausgliederung bezog. Die Formel lautet: T = A x s/B x r: die (potentielle) altrare Tragfähigkeit (T) ist gleich die Gesamtfläche multipliziert mit dem Anteil kultivierbaren Landes dividiert durch den Landbedarf mal Nutzungsfaktor (Geist 1993: 195 ).
Franck Almaric (1994:236) merkt dazu an, daß kaum davon auszugehen ist, daß die südlichen Länder von einer Reduktion des Weltbevölkerungswachstums profitieren würden: „Yet the historical capacity of Northern countries to take over surpluses suggests that if sonic sort of environmental surplus is released it will be taken over by them. (…). Southern countries would not collect the global benefits of a reduction in world population growth, whereas they would incur the cost of adjustment` (Almaric 1994:236).
Diesen Aspekt hebt auch Betsy Hartmann hervor. Ihr zufolge ist das Militär durch atomare Tests, giftige Abfälle und Ölverbrauch etc. für ein Fünftel der weltweiten ökologischen Zerstörungen verantwortlich. „No equation intended to express the relationship between people and the environment can even pretend to mirror reality when it fails to include the military” (Hartmann 1995:26).
Amartya Sen weist in diesem Zusammenhang auf die ahistorische Darstellung des,,Ungleichgewichts” im Anteil an der Weltbevölkerung: Während Europa und Nordamerika ihren demographischen Übergang in einem schnelleren Zeitraum abwickelten, ist er in Asien, Afrika und Lateinamerika aus historischen und politischen Gründen langsamer. Sen macht darauf aufmerksam, daß der heutige Anteil Afrikas und Asiens an der Weltbevölkerung kaum höher ist als zur Zeit des Beginns der industriellen Revolution in Europa. Wer heute ein zunehmendes „Ungleichgewicht` in der Welt empfindet, der „igno
Die Institutionalisierung vor allem des US-amerikanischen und internationalen Bevölkerungsestablishments wurde in vielen Publikationen ausführlich dokumentiert und soll daher im folgenden nur in groben Zügen dargestellt werden (vgl. hier v.a. Mass 1976:35-70; Kasun 1988:157ff.; Donaldson 1990; Hartman 1995:1O1ff.; Mertens 1989; Heim. Schaz 1994:129ff.; Heim/ Schaz 1996; Frauengruppe gegen Bevölkerungspolitik 1984:12ff.).
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Hummel, D. (2000). Gegendiskurse. In: Der Bevölkerungsdiskurs. Forschung Politikwissenschaft , vol 108. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09594-1_4
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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