Zusammenfassung
Die Zurichtung der Sexualität, die sich zum einen in ihrer Verbannung in die Privatsphäre, zum anderen in ihrer ökonomisierten Form als sexualisierte Arbeit zeigt, stößt dort auf Grenzen, wo Menschen mit ihren nicht organisationsförmigen, überschüssigen Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen “am Werk” sind, die gegen die Ruftrennung ihrer Lebenszusammenhänge, gegen die Kanalisierung ihrer Bedürfnisse zu Organisationszwecken und gegen die Kontrolle über ihre Körper und ihre Zeit rebellieren. Die Möglichkeit der Rebellion ist sowohl in psychoanalytischen Ansätzen in Form des “authentischen Kerns der Sexualität”, als auch in Foucaults Konzept der Zusammengehörigkeit von Kontrolle und Widerstand enthalten. In Türks Ansatz kommen autonom-authentische Strebungen eigensinniger Menschen durch die Kooperationsdimension ins Spiel, in der “Organisation” hergestellt wird, aber auch überschüssige Anteile ausgelebt werden.
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Literatur
Der Rückgang der Geschlechtertrennung ist auf arbeitsmarktpolitische Notwendigkeiten zurückzuführen - in Büro-und Industriebetrieben entwickelte sich ein steigender Bedarf an Arbeitskräften innerhalb einer sich ausdifferenzierenden Verwaltung und sich verzweigenden Produktion.
Die Strategie, verschiedene Altersgruppen zu mischen, findet sich 100 Jahre später in der Untersuchung von Cockburn (1988) wieder.
Vgl. dazu die Bemerkung von Aigner (1986,19) Ober Sex-Arbeit: “Es paßt zum Bild des kommerziellen Großstadt-Sexmarktes und der flüchtigen, fast im ”Vorbeigehen“ zu erledigenden Befriedigung (Peep-Shows, aber auch Kinos und Callgirls sind davon betroffen), daß neuerdings v.a. auch die Mittagspause als umsatzträchtige Zeitspanne gilt.”
Burrell (1984) spricht in diesem Zusammenhang von “underlife”.
Geschäfts-und Kongreßreisende haben hier besonders vielfältige und diskrete Möglichkeiten (vgl. Aigner 1986 ): Hosteß-Angebote, Pornos im Hotelzimmer-TV, Bekanntschaften im Hotel und auf Tagungen. Eine der Hauptqualifikationen von Taxifahrern und -fahrerinnen besteht darin, Geschäftsleute, die in einer fremden Stadt weilen, zu den einschlägigen Lokalen chauffieren zu können.
Belege finden sich z.B. in Studien über sexuelle Gewalt in Gefängnissen und Jugendheimen (Hearn & Parkin 1987,78).
Mit der Ebene des emotionalen Erlebens wird dem psychoanalytischen, insbesondere Alfred Lorenzers Ansatz Rechnung getragen.
Es handelte sich um: Komplimente sexuellen Inhalts, beleidigende Kommentare sexuellen Inhalts, Komplimente durch Blicke und Gesten, beleidigende Blicke und Gesten, sexuelle Berührungen, nichtsexuelle Berührungen, Umgang mit Personen des anderen Geschlechts am Arbeitsplatz, und sexuelle Beziehungen mit Personen des anderen Geschlechts am Arbeitsplatz.
Laut Duden bedeutet “Flirten” “den Hof machen, kokettieren”. Es hatte ursprünglich im Englischen die Bedeutung von “herumflattern, herumtollen” (Drosdowski 1989,194/195).
Zur differenzierten Rechtslage siehe Holzbecher et al. (1990).
Jedoch glauben sie im Gegensatz zu den Frauen, daß nur sehr wenige Frauen tatsächlich belästigt warden.
Leider wurde bei diesen Verhaltensweisen nicht gefragt, ob und inwiefern sie positiv oder indifferent empfunden wurden.
Die Vorgaben beinhalteten: Hinterherpfeifen, “Kosenamen”, Konfrontation mit pornographischen Bildern, anzügliche Bemerkungen fiber Körper und Erscheinung, angestarrt und musternd betrachtet werden, Angebot einer sexuellen Beziehung mit dem Versprechen beruflicher Vorteile.
Nämlich: unerwünschte Berührungen, auf den Po klatschen, Fassen an die Brust, Küssen, an die Genitalien greifen, Genitalien des anderen berühren müssen, Zwang zum sexuellen Verkehr und “anderes”.
Witz, Scherz, Humor werden im folgenden synonym verwendet, da sie im Redefluß schwerlich voneinander abgrenzbar sind und in der Literatur zu Sexualität am Arbeitsplatz nicht differenziert werden. Genau genommen ist Humor der Überbegriff, unter den Witze (abgegrenzte Erzähleinheiten mit Schlußpointe), Scherze (weiter gefaßt, oft spontan produziert), und lustige bildliche Darstellungen fallen.
Zu weiteren Funktionen von “selbstabwertendem Humor” siehe Müller-Vogg, Neuberger & Dittmar (1990,74/75).
Huffzky (1979) behandelt ausführlich die Homosexuellen-Thematik im Witz; vgl. auch Klein (1990).
Zur Verbindung von Technik und Erotik siehe Hacker (1989).
Soft“ware ist ein unpassender Ausdruck, glaubt man den Recherchen von Ott (1991), die herausgefunden haben will, daß Hardcore-Pornos (teils mit gewalttätigem Inhalt) über Datennetze von etlichen Computerbenützern (und Benützerinnen?) an wissenschaftlichen Institutionen abgerufen werden.
Ein Fall homosexueller Belästigung durch einen Statusniedrigen wird in “Newsweek” vom 21.10.1991 geschildert: Ein Professor wurde von einem homosexuellen Studenten bedrängt und mit Rufschädigung bedroht, wenn er sich nicht gefügig zeige.
Eine Vorstandsabteilung hieß “twenty five year club” aufgrund der länge des Zusammenseins der Abteilungsmitglieder. Es gab zwar keine erotische Spannung in der Abteilung, aber zumindest auch keine sexuelle Belästigung.
Innerhalb der Geschlechterverteilung über Arbeitsplätze müssen als Voraussetzung für heterosexuelle Belästigung jedoch überhaupt Kontaktmöglichkeiten zwischen Frauen und Männern gegeben sein. Wo perfekte Geschlechtertrennung durchgesetzt wird, findet keine heterosexuelle, dafür um so mehr homosexuelle Belästigung statt (Hearn & Parkin 1987 ).
Diese Konstellation lag beim aufsehenerregenden Fall von Anita Hill gegen Clarence Thomas in den USA vor.
Der Chef des Hamburger Polizeidienstes hat kurzerhand und angeblich mit Erfolg alle Pin-upBlâtter in Spinden und Büros verboten. Ob dies in anderen Organisationen auch funktionieren würde, bleibt dahingestellt.
Deshalb sind manche Autorinnen und Autoren dazu Bibergegangen, Diskriminierungsmechanismen als “gender harassment” zu bezeichnen und damit den Belästigungsbegriff erheblich zu erweitern (z.B. Fitzgerald & Shullman 1993 ).
Das Großraumbüro und die typischen Frauentätigkeiten (Schreibkraft, Sekretärin, Hilfsarbeiterin) in Wilders Film entsprechen der an den Anfang des Kapitels gestellten Analyse der Entwicklung der Bürotätigkeiten und der damit verbundenen erotischen Möglichkeiten und Restriktionen. Die weiblichen Beschäftigten sind hier wie dort aufgrund ihrer subalternen Stellung Zielobjekte männlicher Begierde und haben ihrerseits auf Männer gerichtete Wünsche nach “Erlösung” durch Verbindung mit einem statushohen Mann.
Auf die Frage der Freiwilligkeit von Zweierbeziehungen im Kontext ökonomischer Zwänge und gesellschaftlicher Konventionen, insbesondere der Ideologie der bürgerlichen Familie und der monogamen Dauerbeziehung soll hier nicht eingegangen werden, denn diese Frage trifft generell auf alle Paarbeziehungen zu.
Nach Martin (1990) sind allerdings Affären vorgesetzter Männer mit untergebenen Frauen keineswegs tabuisiert, solange sie mit Diskretion behandelt werden.
Kanter (1977,107) zitiert den Psychiater Robert Seidenberg: “As people who have interesting careers have always known, work is very sexy, and the people with whom one is working are the people who excite. A day spent launching a project or writing a paper or running a seminar is more likely to stimulate - intellectually and sexually - than an evening spent sharing TV or discussing the lawn problems or going over the kids’ report cards”. Auch Barbara Sichtermann (1989,55ff) meint, daß die bürgerliche Hausfrau in ihrer häuslichen Isolation wesentlich weniger Möglichkeiten zu unterschiedlichen und starken Gefühlsempfindungen hat als der beruflich engagierte Mensch, der mit vielen Personen zusammenkommt.
There is a period in all such office festivities when, momentarily, all things seem possible
when the undercurrents of sexuality that run through office life are briefly released, when men take the extra drink, miss the next train, begin to wonder if they could find a plausible excuse for staying overnight in town. There is even a social pressure against men who do go home early, for in a world that has absorbed half of Freud’s teachings without paying any attention to the rest, the worst sin is to fail in the Darwinian struggle for sexual survival“ (Korda 1972,40).
Auf homosexuelle Tendenzen in sog. Männerbünden wird in Kap.7.5. eingegangen.
Der Begriff des pädagogischen Eros stammt von Platon und seiner Akademie, meinte damals allerdings ausschließlich Homoerotik.
Theweleit ( 1990b, 44) beschreibt pointiert die Konstellation Doktorvater-Doktorandin: “Doktorandinnen kommen und gehn, das liegt im Charakter der Universität; und solange diese patriarchalisch ist, ist der Doktorvater nicht nur Vater oder Mann, sondern oberster Pavian seiner Wissenschaftshorde. Es liegt in der Konstruktion der Institution, daß er auch als sexuelle Instanz erscheint und die auftauchenden Wissenschaftler-Frauen auch als Sexualobjekte der Wissenschaftsprimaten; diese Liebesweise ist, wenn nicht ein Diktat, dann ein Gebot der Institution wie die Liebesverbindung Chef-Sekretärin das Gebot (’die Verführung’) einer andersgearteten Institution ‘Büro’ in der sog. ‘freien Wirtschaft’. Sehr oft führt das Gebot zu Ehen, sehr viel öfter aber nicht, sondern zu Reihen. Nicht die Ehefrauen werden (jeweils) ausgetauscht, sondern eben Sekretärinnen. Auch Doktorandinnen kommen und gehn.”
Das geringe Zerstörungspotential sexueller Beziehungen zwischen Chef und Sekretärin mag ein Mythos sein, der darauf beruht, daß sich das ohnedies eheähnliche Verhältnis zwischen beiden nach außen hin nicht wesentlich verändert, wenn die sexuelle Dimension hinzukommt. Wie Ehe-
frauen in der Familie, können jedoch auch Sekretirinnen große “Binnenmacht” besitzen, die durchaus der Organisation Schaden zufügen kann. Im übrigen ist davon auszugehen, daß - vielleicht gerade wegen der Enge der Beziehung - Sex viel mehr in sie hineinphantasiert wird als in Wirklichkeit geschieht (vgl. Handschuh-Heiß 1993 ).
Auf die allgemeine Geschlechterdynamik im Management wird in Kap.7. eingegangen. Hier soll es spezifisch um sexuelle Beziehungen zwischen Führungskräften gehen.
Eben diese Aussicht läßt Verantwortliche, wie sie teilweise explizit zugeben, vor der Einstellung von Frauen auf Führungspositionen zurückschrecken.
Sie ist auch ein äußerst beliebtes Sujet von Pornofilmen (Hearn & Parkin 1987,149).
Bei Collinson & Collinson (1989) wird ein Fall dieser Art beschrieben.
Ein “Anti-Flirt-Führer”, wie ihn angeblich das Londoner Versicherungsunternehmen “Legal and General” herausgegeben hat, ist äußerst unüblich. Im Bericht über den Führer heißt es: “Bei der Einladung zu einem Drink nach der Arbeitszeit soll jeder Angestellte seinem Arbeitskollegen oder der Kollegin grundsätzlich einen Korb geben, weil dies allzu häufig zu Romanzen am Arbeitsplatz führe. Allzu aufdringlichen Büro-Genossen soll abweisend begegnet werden.(…) In einer Umfrage für das Londoner Institute of Directors unter 76 Managern gestanden über zwei Drittel ein, daß sie Techtelmechtel am Arbeitsplatz nur äußerst ungern sehen. Nach der Studie der Strathclyde Business School neigen Büro-Verliebte am Arbeitsplatz noch mehr als andere zu ausschweifenden Tagträumen, verlieren bei Beurteilungen jegliche Objektivität und plaudern auch häufiger Betriebs-Interna aus, was alles in allem der Produktivität schade” (SZ vom 27.12.90). In den meisten Fällen haben Vorgesetzte allerdings keinen “Anti-Flirt-Führer”, den sie den Beschäftigten in die Hand drücken können, und sind zu einer eigenständigen Reaktion gezwungen.
Genannt “honey trap”. Lockvogel haben beispielsweise im Zweiten Weltkrieg wichtige homosexuelle Persönlichkeiten systematisch eingefangen und unter Androhung der Entlarvung zur Informationslieferung gezwungen (vgl. Geiger 1991).
Geschlechtsverkehr als Bestandteil des Geschäftsverkehrs“ nennt dies Vokmar Sigusch (1985, zit. in Aigner 1986,9).
Dies wird von manchen Spionage-Filmen in Szene gesetzt, die zeigen, was passieren kann, wenn Agent oder Agentin sich “wirklich” in ihr Zielobjekt verlieben.
Zwar sind auch manche anderen Paarbeziehungen “jobmotiviert” (z.B. Übernahme von Unternehmen durch Heirat), doch besteht hier nicht die Unmittelbarkeit von arbeitsbezogenen Interessen und Liebesmotiv, wie es in Billy Wilders “Apartment” so plastisch zum Ausdruck kommt.
Im Männermagazin “Esquire” (3/91,100) wird genau diese Strategie - halb ironisch - als Mittel gegen Karrierefrauen (“auch die Karrierefrau braucht ab und zu Liebe”) empfohlen.
Auch der umgekehrte Prozeß - Minner dringen in Frauendomänen ein - würde den Organisationsprinzipien zuwiderlaufen, aber eine dementsprechende Entwicklung ist erst sehr zögernd in manchen Berufsfeldern, z.B. dem Pflegeberuf, zu verzeichnen.
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Rastetter, D. (1994). Sexualität in Organisationen. In: Sexualität und Herrschaft in Organisationen. Beiträge zur psychologischen Forschung, vol 33. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11355-3_6
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