Auszug
Wissenschaftliche Forschung ist ohne forschungsprogrammatische Basis nicht möglich.23 Deshalb sollen im Folgenden kurz die wissenschaftlichen und methodologischen Grundlagen der Untersuchung skizziert werden. Inhalt der Ausführungen dieses Kapitels ist nicht die Diskussion verschiedener Forschungsparadigmen,24 sondern lediglich die grundlegende Orientierung der vorliegenden Arbeit, die von folgenden, sich gegenseitig beeinflussenden fünf Leitideen geprägt ist:
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(1)
Wissenschaftstheoretische Orientierung bieten die Grundsätze des wissenschaftlichen Realismus („scientific realism“), der abweichend vom kritischen Rationalismus nach Popper (1989) einen Erkenntnisfortschritt nicht allein durch Falsifikation zulässt, sondern eine Verifikation von Hypothesen durch übereinstimmende Beobachtungen vorsieht. Zwar kann so die Gültigkeit einer Aussage nicht mit absoluter Sicherheit überprüft werden, jedoch folgt eine Art kumulative Annäherung an die Wahrheit, die ihre Falsifizierung jedoch nicht ausschließt.25 Die Arbeit besitzt so eine positivistische Orientierung. Grundlage der Aussagen sind aus der Theorie abgeleitete Hypothesen, die durch Beobachtung verifiziert werden. Zwar ist zweifelsohne die Deduktion der Induktion vorzuziehen. Jedoch ist das zu untersuchende Feld theoretisch noch nicht durchdrungen, so dass eine reine Deduktion unrealistisch wäre.26 Stattdessen ist die komplementäre Anwendung von Deduktion und Induktion notwendig.27
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(2)
Diese komplementäre Vorgehensweise mündet in einen dreistufigen Forschungsprozess dieser Arbeit:28 Auf die terminologisch-deskriptive Aufgabenstellung der Schaffung eines einheitlichen Begriffssystems und dessen Anwendung für die Beschreibung der Forschungsobjekte (im wesentlichen Kapitel 3 dieser Arbeit) folgen empirisch-induktive Forschungsaktivitäten durch die Untersuchung von in der Praxis beobachteten Zusammenhängen. Durch Verallgemeinerung der Einzelbeobachtungen kommt es so zu einer induktiven Ableitung von Hypothesen (Kapitel 3.3, 4 und 5 dieser Arbeit; Ergebnis ist in diesem Sinne das Paradigma des „Modern Manufacturing“ in Abschnitt 5.3). Dritte Stufe ist schließlich eine analytischdeduktive Aufgabenstellung, bei der es um die Konstruktion von Modellen, ihre analytische Auswertung („Logik von Mass Customization“ in Kapitel 7) und ihre Konkretisierung geht.
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Ziel der Arbeit ist es, auf der Ebene der angewandten Forschung praxeologische Aussagen zu treffen, die unmittelbare Hilfestellung für praktische Problemlösungen von Industriebetrieben liefern können. Hierzu dient insbesondere Kapitel 8 der Arbeit, in dem es um die Umsetzung des in den vorherigen Kapiteln abgeleiteten Modells industrieller Wertschöpfung in der Informationsgesellschaft geht. Die Arbeit verfolgt so letztendlich ein pragmatisches Wissenschaftsziel.29 Während die theorieorientierte Grundlagenforschung die Gewinnung empirisch-gehaltvoller, genereller Erklärungen über beobachtete Phänomene anstrebt (erkenntnisleitend sind „Warum-Fragen“, die durch empirisch-kognitive Aussagen beantwortet werden sollen),30 verfolgt eine pragmatisch orientierte Arbeit das Ziel, Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Begründung zu formulieren („Wie-Fragen“; siehe Abbildung 2-1). Über den Einzellfall hinausgehende Antworten auf diese Fragen werden nach Grochla als praxeologische Aussagen bezeichnet.31
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Literatur
Vgl. Hildebrand (1997), S. 95.
Siehe hierzu allgemein Hunt (1991); Koller (1969), S. 15–24; Kuhn (1970); Popper (1989); Schanz (1988); Schanz (1992).
Siehe zum wissenschaftlichen Realismus Homburg (1995a), S. 53–70; Hunt (1991).
Siehe Lehner et al. (1995), S. 62f. zum Theoriedefizit der Wirtschaftsinformatik, deren Untersuchungsbereich den der vorliegenden Arbeit stark tangiert. Siehe zum Theoriedefizit in der Betriebswirtschaftslehre allgemein Raffee (1984), S. 21. Siehe auch Schanz (1992), S. 31 („Für die gegenwärtige Betriebswirtschaftslehre ist charakteristisch, dass es die Betriebswirtschaftslehre eigentlich gar nicht gibt.“).
So auch Koller (1969), S. 17.
Vgl. Lehner et al. (1995), S. 67. Ähnlich auch Grochla (1978), S. 68–72.
Siehe hierzu Kieser/ Kubicek (1992), S. 56.
Vgl. Koller (1969), S. 16; Lehner et al. (1995), S. 21.
Vgl. Grochla (1978), S. 70f.
Erweitert nach Ulrich (1988), S. 177.
Vgl. Köster (1998), S. 7f.
Siehe zum situativen Ansatz Kieser/ Kubicek (1978), S. 105–132; Krickl (1995), S. 56–66.
Stachle (1981), S. 215.
Dies wird auch als „pragmatische oder technologische“ Variante des situativen Ansatzes bezeichnet, siehe Kieser/ Kubicek (1992), S. 56f.
Siehe Kieser/ Kubicek (1978), S. 132–152 und die dort genannte Literatur.
Vgl. Hildebrand (1997), S. 96; Homburg (1995a), S. 62.
Vgl. Kambil/ Short (1994), S. 63. Siehe vor allem auch Gummesson (2002) für eine detaillierte Diskussion der Fallstudienmethodik und weiterführende Literatur.
Vgl. Wiest (1994), S. 102.
Kambil/ Short (1994), S. 63.
Vgl. Kotha (1995), S. 25.
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(2006). Forschungsprogrammatische Leitideen. In: Mass Customization. DUV. https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9204-4_2
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