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Der Integrationsbegriff – soziologische Perspektiven

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Handbuch Integration

Zusammenfassung

In soziologischen Diskussionen um die Verfasstheit modernerer Gesellschaften sind Fragen sowohl nach den Voraussetzungen und dem Gelingen als auch nach den Gefährdungen gesellschaftlicher Integration von zentraler Bedeutung. Es existiert jedoch kein einheitliches Verständnis von Integration. Der Beitrag skizziert in einem ersten Schritt klassische und aktuelle Themenfelder und Theorieperspektiven der soziologischen Diskussion um Integration. In einem zweiten Schritt werden Analyseebenen der Integration sowie Kriterien ihrer Systematisierung beschrieben.

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  1. 1.

    Andreas Wimmer und Nina Glick Schiller haben für die Migrationsforschung diese Verengung des wissenschaftlichen Blicks beschrieben, sie identifizieren in ihrem für die Diskussion grundlegenden Artikel drei Spielarten des methodologischen Nationalismus: „1) ignoring or disregarding the fundamental importance of nationalism for modern societies; this is often combined with 2) naturalization, i.e., taking for granted that the boundaries of the nation-state delimit and define the unit of analysis; 3) territorial limitation which confines the study of social processes to the political and geographic boundaries of a particular nationstate“ (Wimmer und Glick Schiller 2003, S. 577 f.).

  2. 2.

    „Der Beruf“, so Ulrich Beck, „dient zur wechselseitigen Identifikationsschablone, mit deren Hilfe wir die Menschen, die ihn ‚haben‘, einschätzen in ihren persönlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten, ihrer ökonomischen und sozialen Stellung. So seltsam es ist, die Person mit ihrem Beruf gleichzusetzen: In der Gesellschaft, in der das Leben auf den Faden des Berufes aufgereiht ist, enthält dieser tatsächlich einige Schlüsselinformationen, darunter Einkommen, Status, sprachliche Fähigkeiten, mögliche Interessen, Sozialkontakte usw.“ (Beck 1986, S. 221). Die Lebenslaufforschung und die Debatten um Individualisierung in den 1980er-Jahren analysieren die Integration der Individuen in die Erwerbsarbeit unter den Bedingungen einer fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft. Martin Kohli (1986, S. 183) argumentiert, dass die Institutionalisierung des modernen Lebenslaufs das Ergebnis einer sich „entfaltenden Arbeitsgesellschaft“ ist. Während Enttraditionalisierung zu einer „Zufälligkeit der Lebensereignisse“ führt, wird die Biographie mittels eines institutionell „vorhersehbaren Lebenslaufes“ (ebd., S. 185) gestaltbar.

  3. 3.

    André Gorz (1988, S. 161) nennt vier ihrer Merkmale: Sie wird für Dritte getätigt; man erhält einen Gegenwert, den Lohn; die Rahmenbedingungen der Arbeit (Zeit, Ort, Umstände) werden durch den bestimmt, der den Lohn zahlt; auf ihren Zweck hat man keinen Einfluss.

  4. 4.

    Obwohl Castel von einer Zone der Fürsorge spricht, wurde diese nicht umfänglicher in seinen Analysen besprochen. Zentral in seiner Argumentation sind die Zone der Integration, die Zone der Vulnerabilität und die der Entkopplung.

  5. 5.

    So schreibt Honneth: „Das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft gibt die Kriterien vor, an denen sich die soziale Wertschätzung von Personen orientiert, weil deren Fähigkeiten und Leistungen intersubjektiv danach beurteilt werden, in welchem Maße sie an der Umsetzung der kulturell definierten Werte mitwirken können; insofern ist diese Form der wechselseitigen Anerkennung an die Voraussetzung eines sozialen Lebenszusammenhangs gebunden, dessen Mitglieder durch die Orientierung an gemeinsamen Zielvorstellungen eine Wertgemeinschaft bilden.“ (Honneth 1992, S. 198). Und an anderer Stelle: „In modernen Gesellschaften“ ist es unter den Bedingungen gesellschaftlicher Modernisierung „ein nunmehr allerdings klassen- und geschlechtsspezifisch bestimmter Wertepluralismus (ist), der den kulturellen Orientierungsrahmen bildet, in dem sich das Maß der Leistung des einzelnen und damit sein sozialer Wert bestimmt“ (Honneth 1992, S. 203).

  6. 6.

    Schimank (2000, S. 452) liefert für diese Erweiterung folgende Begründung: „Mit der Unterscheidung von Sozial- und Systemintegration ließen sich die Aspekte gesellschaftlicher Integration, die bis in die siebziger Jahre hinein die Aufmerksamkeit beherrschten, zuordnen und systematisieren. Seitdem ist allerdings in den gesellschaftlichen Debatten und auch in soziologischen Zeitdiagnosen ein vorher gar nicht beachtetes oder allenfalls randständiges Thema prominent geworden: die ökologische Integration der modernen Gesellschaft, also das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer physikalischen, chemischen und biologischen Umwelt (…).“

  7. 7.

    Schimank (2000, S. 450) kommentiert Gegenwartsdiagnosen aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den USA. Es handelt sich u. a. um Diagnosen von Ulrich Beck, Richard Münch, Jürgen Habermas, Pierre Bourdieu, Zygmunt Bauman, Richard Sennett, Amitai Etzioni, Bruno Latour.

  8. 8.

    Beide Autoren betonen, dass es sich bei dieser Typologie nicht um einen eigenen integrationstheoretischen Entwurf handelt, sondern um eine an analytischen Gesichtspunkten orientierte Zusammenschau (Imbusch und Rucht 2005, S. 57). Für eine Skizze klassischer Theorien zur Integration und Desintegration liefern sie zudem einen informierten Überblick (2005, S. 21–35).

  9. 9.

    Schimank (2013) wiederum unterscheidet zwischen differenzierungstheoretischen, ungleichheitstheoretischen und kulturtheoretischen Perspektiven, die ein jeweils unterschiedliches Verständnis von gesellschaftlicher Integration zugrunde legen.

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Scherschel, K. (2020). Der Integrationsbegriff – soziologische Perspektiven. In: Pickel, G., Decker, O., Kailitz, S., Röder, A., Schulze Wessel, J. (eds) Handbuch Integration. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21570-5_2-1

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